>
Oliver Reiser

www.Chemie-im-Alltag.de

 

Sehen und Riechen aus der Sicht der Moleküle

von Prof. Annette Beck-Sickinger, Universität Leipzig

Sehen und Riechen sind zwei fundamentale Sinne des Menschen, die auf einander sehr ähnlichen, chemischen Prozessen basieren.


Das menschliche Auge enthält zwei Sehsysteme: das eine ist für das sogenannte Dämmerungssehen, das andere für das Farbensehen zuständig. Jedes Sehsystem ist in bestimmten Sehzellen lokalisiert, die zusammen die Netzhaut unseres Auges bilden. Beiden Systemen liegt das gleiche Prinzip zu Grunde: Ein Protein (mit Namen Opsin) hat einen Sensor für Lichtquanten (11-cis-Retinal) gebunden. Fällt Licht auf den Sensor-Protein-Komplex mit Namen Rhodopsin (Sehpurpur), so ändert sich der Sensor und damit die dreidimensionale Gestalt des Proteins (zur Ansicht der chemischen Formeln das Auge anklicken. Diese Strukturänderung des Opsins löst eine ganze Kaskade biochemischer Reaktionen in der Zelle aus und führt schlussendlich zu einem Signal im Gehirn. Natürlich ist das Sehen auch gleichermaßen ein physikalischer Prozess: Unsere Linsen in den Augen fokussiert das Licht beim Menschen auf einen einzigen Punkt in der Pupille (monofokale Linse) und geben so die Signale präzise weiter. Gerät diese Präzision aus dem Tritt, muss man Sehhilfen wie Kontaktlinsen oder Brillen tragen oder sich einer Augenoperation unterziehen. Bei vielen Menschen tritt mit zunehmendem Alter eine Weitsichtigkeit ein. Bislang war eine Korrektur dieser Fehlsichtigkeit mit etwas gewöhnungsbedürftigen Gleitsichtbrillen möglich, es gibt inzwischen aber auch multifokale Kontaktlinsen (eine sehr gute Präsentation, die die zugrundeliegende Physik solcher multifokalen Linsen erklärt, kann hier heruntergeladen werden).

Sehproteine (Opsine) und hierzu verwandte Geruchsproteine

Unser Körper nimmt jedoch die Eindrücke seiner Umgebung nicht nur mit den Augen war: Geschmack und Geruch spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Interessanterweise sind die Moleküle, die für Gerüche zuständig sind, denen des Sehens sehr ähnlich, sie weisen denselben Bauplan auf wie die Opsine. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied: dem Auge genügen vier verschiedene Opsine und durch Verschaltung können die Eindrücke abgestimmt werden. Retinal ist fest an das Protein gebunden und wird immer in der selben Art und Weise durch Licht verändert, lediglich die Wellenlänge des Lichtes, für welches das Opsin empfindlich ist, variiert.

Gerüche sind aber Substanzen, das heißt selber Moleküle mit definierter Struktur und Geometrie. Statt Retinal tritt nun solch ein Geruchs-Sensor mit einem Molekül in Wechselwirkung, etwa mit Vanillin, dem Geruchsstoff der Vanille. Wird dieses Molekül erkannt und gebunden, so ändert der Geruchsrezeptor ebenfalls seine dreidimensionale Gestalt. Moleküle im Zellinnern binden dann an die veränderte Struktur: das Signal ist in der Zelle in analoger Weise zum Lichtsignal. Es gibt Tausende von Molekülen, die wir riechen können, einfach weil wir einen Rezeptor in unserer Nasenschleimhaut haben, der dieses Molekül erkennt.

G-Protein gekoppelte Rezeptoren

Hat ein System einmal Erfolg, so wird es immer wieder eingesetzt. Dieses Motto findet man natürlich auch in der Natur. Und so darf es nicht verwundern, dass unser Körper diese Art der Informationsübertragung in die Zelle an vielen, ganz verschiedenen Systemen unseres Körpers einsetzt: das Prinzip ist immer das Gleiche. Ein Protein mit 7 Transmembrandurchgängen, ein sogenannter G-Protein gekoppelter Rezeptor, auch 7 Transmembran- oder Heptahelix-Rezeptor genannt, sitzt in der Membran einer Zelle (Abbildung links, zur Vergrößerung anklicken).

Als Folge eines Signals von außen ändert er seine dreidimensionale Struktur. Diese Änderung ermöglicht die Weiterleitung des Signals in die Zelle. Außer den rund 1000 verschiedenen Geruchsrezeptoren sind nochmals mehrere 1000 verschiedene G-Protein gekoppelte Rezeptoren bekannt, die in unserem Körper körpereigene Substanzen, wie Neurotransmitter, Hormone, Chemokine und Enzyme, also alle Sorten von Botenstoffen unseres Körpers, erkennen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat kürzlich ein neues Trainingzentrum, ein sogenanntes Graduiertenkolleg, an den Universitäten Regensburg und Erlangen-Nürnberg eingerichtet, dass sich mit dieser Thematik befasst.

Neue Therapieansätze für Krankheiten

G-Protein gekoppelte Rezeptoren sind somit interessante Zielmoleküle für neue Therapieansätze bei Krankheiten. Weiterhin sind sie auch von großem biochemischen Interesse, um relevante Fragen zu klären, etwa: Was heißt "Aktivierung einer Zelle" aus molekularer Sicht? Wie ändert sich deren dreidimensionale Struktur nach der Aktivierung? Ist die Aktivierung tatsächlich eine Folge der Bindung von Liganden oder muss vielmehr von einem Gleichgewicht verschiedener Strukturen ausgegangen werden und der Aktivator bindet nur selektiv an die Struktur, die die Botschaft ins Zellinnere weitergibt und verschiebt dadurch das Gleichgewicht? Wie und wo binden die Liganden, alle gleich oder jeder anders?

Fragen über Fragen! Es wird sicherlich noch geraume Zeit dauern, bis wir über die Bindung und Übertragung der Botschaft der körpereigenen Substanzen so viel wissen wie über das Sehen. Dennoch ist es faszinierend und beeindruckend, dass das Übertragen von Signalen im Körper - durch Hormone und Transmitter - und der Signale von außen - durch Auge und Nase - über die gleiche Klasse von Proteinen vonstatten geht.

Bildnchweis
Auge: Franziska F. in Wikimedia Commons (GFDL)

Link zum Thema:
Kristallstruktur von Rhodopsin (Sehpurpur), nach Palczewski et al., Science 289 (2000) 739