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Die Äußerung von Guido Westerwelle über sein gestörtes Verhältnis zum Zitronensäurezyklus passt zu dem Bild von Chemie, das in unserer Gesellschaft weit verbreitet und toleriert ist. Es erschöpft sich in dem eingängigen, aber falschen Slogan: "Chemie ist, wenn es stinkt und kracht". Dabei ist Chemie sehr viel mehr und gerade die in der griffigen Beschreibung genannten Attribute sind es nicht. Sie werden heute mit allen Mitteln vermieden und spielen keine Rolle, dürfen keine Rolle spielen.
Chemie ist eine Naturwissenschaft, die sich mit der stofflichen Grundlage unseres Kosmos befasst und damit auch für die anderen Naturwissenschaften grundlegende Erkenntnisse liefert. Sie ist quasi Querschnittswissenschaft für Physik, Biologie und alle Wissenschaften, die sich mit Materie, Stoffen und ihren Wechselwirkungen auseinandersetzen.
Der größte intellektuelle Beitrag der Chemiker zum Verständnis unseres Kosmos war die Entwicklung des Periodensystems der Elemente. Damit wurden alle Elemente beschrieben und geordnet, aus denen unsere materielle Welt zusammengesetzt ist, das Sandkorn in der Wüste, der Felsbrocken vom Mars, das Grippevirus in unserem Körper, die Rose im Garten, der Elefant im Zoo und der Mensch in seinen vielfältigen Ausprägungen. Basis für das Ordnungssystem waren die Atomgewichte der gängigen Elemente, die von Chemikern im 18. und 19. Jahrhundert mühsam aus Verhältniszahlen ihres Vorkommens in bestimmten Stoffen ermittelt und über Eigenschaftsprofile in Gruppen zusammengefasst wurden.
Der letzte große Schritt, die Konzeption eines geschlossenen Periodensystems für alle in der Natur vorkommenden Elemente, wurde von dem russischen Chemiker Dimitri Iwanowitsch Mendelejew und unabhängig davon von dem deutschen Chemiker Julius Lothar Meyer vollzogen. Mendelejew hat sein Konzept von der Periodizität der Elemente 1869 publiziert, vor, aber im selben Jahr wie Meyer. Anregungen über die Ordnung der Elemente nach Atomgewichten hatte er auf dem ersten internationalen Chemikerkongreß 1860 in Karlsruhe erhalten, insbesondere aus einem Vortrag des italienischen Chemikers S. Cannizzaro. Das Periodensystem der Elemente steht also für eine große internationale, zumindest europäische wissenschaftliche Leistung. Mit ihm wurde eine neue Ära, nicht nur in der Chemie, sondern allgemein in den Naturwissenschaften eingeläutet.